4. Die Russen kommen!

Erinnerungen einer Zeitzeugin:

>>Mai 1945 - Was mache ich nur? Sie werden mir die Kinder wegnehmen, uns nach Sibirien schicken und was wird man sonst noch mit uns tun?
8. Mai, einen Tag nach meinem 31. Geburtstag, ging ich früh gegen 4 Uhr zum Chef von meinem Mann, Direktor W.. Mein Mann war ja, bis zur Einberufung, als Buchhalter bei Websky, Hartmann & Wiesen angestellt. Das war mein Strohhalm! ... Herr W. riet mir, in den Fabrikhof zu gehen, wo zwei Lastautos in Richtung Grenze zum Amerikaner abfahren würden. Vielleicht nähmn sie mich mit. Sie taten es und nahmen mich mit beiden Kindern, ein oder zwei Koffern und zwei Kopfkissen, mit. Mit Mühe und Not kamen wir, die Strassen waren von deutschem Militär - alles Richtung Grenze - verstopft, bis ins Reimsbachtal. Da ging das erste Auto kaputt, die Mitfahrer und auch wir im 2 Lastauto stiegen aus. Die Männer nahmen unsere Gepäckstücke und brachten sie in ein nahegelegenes kleines Gasthaus in Sicherheit. Die Russen kamen uns ja schon entgegen! Wir versuchten ihnen auf Seitenwegen auszuweichen und wieder Richtung Heimat einzuschlagen. In der Nacht wanderten wir über Wiesen. Äcker, durch Wald, Gebüsch und Morast. Die armen Kinder an meiner Hand stolperten über jede Unebenheit mit mir mit. Wir waren naß, schmutzig und froren jämmerlich.
Es schoß und knallte immer um uns herum. Gegen Morgen machten wir Rast in einem Wald. Die KInder schliefen vor Übermüdung sofort ein. Ein paar deutsche Soldaten begegneten uns, die sich auch versteckt hatten. Sie meinten, es soll Waffenstillstand sein. Wir hörten aber immer noch Schüsse.
Als wir spater auf der Straße in Richtung Wüstewaltersdorf weiterzogen, liefen wir direkt einer Gruppe russischer Soldaten in die Arme. Wir mußten alle unsere Hände heben. Mich hatte niemand auf diesen Moment vorbereitet, so büßte ich meinen Trauring und einen anderen Ring auf der Stelle ein. Das war in der Nähe von Rudolfswaldau. Am Abend kamen wir dann endlich im Wüstewaltersdorfer Ortsteil Grund an. Nach Wüstewaltersdorf trauten wir uns an diesem Abend noch nicht. Das mußte ich bitter bereuen! Wir kamen bei Bekannten meiner Nachbarin und Freundin unter. Vier russische Soldaten fanden die Tochter des Hauses und mich. Wir erlitten das Schicksal ungezählter deutscher Mädchen und Frauen im Osten.
Am nächsten Morgen beendeten wir die Odyssee und kehrten nach Wüstewaltersdorf zurück Meine Wohnung fand ich so vor. wie ich sie verlassen hatte. Wir kamen aber nicht zur Ruhe. In den Nächten zogen russische Soldaten herum und wollten in die Häuser eindringen. Wir, Frau F. mit ihrem Jungen, meine Kinder und ich schliefen mehrere Nächte in einem anderen Haus. Die verbliebenen Männer saßen nachts hinter der Haustür als Wache. Wenn nun die Soldateska an die Haustür donnerten und Einlaß begehrten, zogen sie wieder ab, wenn sie die Reihe Männer sitzen sahen. Danach haben wir noch einige Wochen auf dem Wäscheboden in unserem Haus geschlafen. Die zwei alten Männer, die noch im Haus waren, rückten uns immer einen Schrank vor die Tür. Es herrschte auf den Straßen viel Unruhe. Wir schliefen kaum, vor Angst, daß die Kinder schreien und uns verraten würden. Einige Tage nach unserer Rückkehr vom Reimsbachtal brachte uns jemand von unserer Gruppe die Koffer und Kissen zurück. Darüber habe ich mich sehr gefreut, leider weiß ich auch nicht mehr, wer es war...<<