Vertreibung in Etappen

Erinnerungen einer Zeitzeugin:

>>Im Mai 1946 begannen die Vertreibungen der Wüstewaltersdorfer; die Trecks wurden in Kohlfurt von den Engländern übernommen.
Der erste Ausweisungstermin war der 5. Mai, 12. Mai, 7. Juni, 6. August, 19. August und 20. November.
Im Jahre 1947: 1. Juli, 22. August und im Monat Oktober. Den 5. und 12. Mai 46 habe ich daheim miterlebt. Es waren Tage, die die Fortziehenden und Dagebliebenen mit Worten nicht beschreiben können. Unauslöschlich bleibt mir ein Anblick! Ich war zur Brauerei an die Brücke gelaufen, die zum Hacketeich führte, um von Dorfbewohnern Abschied zu nehmen. Auf der Straße kam mir die Pastorenfamilie entgegen, sie hatten gerade ihr Haus verlassen. Ich sehe heute noch unseren Pastor in der Mitte seiner Familie gehend, unter seinem kriegsbeschädigten Arm hielt er fest an sich gedrückt seine Aktentasche. Sofort stieg der Gedanke in mir auf: Unser lieber Pastor rettet die Niederschriften seiner Predigten. Tochter Bärbel weinte bitterlich; ich war zutiefst erschüttert!
Nachdem viele Familien den Ort verlassen hatten, ringsherum Polen wohnten, das Ortsschild schon lange den Namen "Walim" trug und die Straßenschilder polnische Namen, fühlte man sich wie ein Fremder im Dorf; es war alles so bedrückend und deprimierend.


Am Vorabend des 7. Juni 46 kam unser Pole in unsere Wohnung und sagte uns, daß wir wieder auf der Ausweisungsliste stehen und morgen früh der nächste Treck den Ort verläßt. Er hätte uns bereits zweimal auf der Liste gestrichen - er bekam als Direktor der Fabrik die Ausweisungsliste vorgelegt - aber da er weiß, daß dieser Treck der letzte ist, der in die englische Besatzungszone geht, hätte er uns nicht mehr auf der Liste gestrichen. Der nächste Treck ging dann in die russische Besatzungszone und das wollte er uns ersparen. Er hatte es gut mit uns gemeint, der nächste Treck am 6. August 46 ging dann auch in die russische Besatzungszone. (der letzte Treck in den "Westen" ging am 19. August 1946, Anm. der Red.). Vorgewarnt packten wir am Abend die Koffer, ein kleines Leiterwägelchen hatte mein Vater bereitstehen. Am frühen Morgen des 7. Juni 46 kamen 2 bewaffnete Milizionäre in die Wohnung und befahlen uns, in 10 Minuten die Wohnung zu verlassen, die Wohnungstür nicht abzuschließen und uns auf dem Hacketeich einzufinden. Ein Milizionär machte gleich die Türen der Schränke auf und zog die Schubladen heraus, um alles in Augenschein zu nehmen.


Aus allen Richtungen kamen die Dorfbewohner mit Ihrem Handgepäck, mit Leiterwägelchen, die Mütter mit Kleinkindern im vollgepackten Kinderwagen zum Hacketeich. Kurz vor unserem Abmarsch kam die Schwester von unserem Polen, um sich von uns zu verabschieden und drückte meiner Mutter ein Bündel Zloty-Scheine in die Hand (diese Zloty waren dann unser Glück bei der Kontrolle). Sie brachte uns auch Schinkenspeck mit; diese gute Tat werde ich auch nicht vergessen.
Unser Treck, begleitet von berittenen Milizionären, 1 oder 2 Pferdegespanne für alte gebrechliche Menschen, zog nun in Richtung Hausdorf nach Waldenburg-Altwasser in eine Schule, wo das Sammellager war. 17 km lagen vor uns, es war sehr heiß, unser Gepäck schleppend und ziehend, begann in Erlenbusch die Steigung mit den vielen Serpentinen. Völlig erschöpft kamen wir in Altwasser an. Im Hof der Schule ankommend, brach das Rad unseres Leiterwägelchens ab, der Wagen kippte, der Ledermantel meines Vaters lag auf dem Gepäck, fiel zu Boden und schon war ein Pole da und verschwand mit dem guten Stück. Die Nacht verbrachten wir in einem Klassenzimmer und am nächsten Morgen ging es durch die letzte Kontrolle vor dem Abtransport.

 


Die Waggons

Zuvor mußten wir noch unser Silbergeld abgeben, wir bekamen zwar eine Bescheinigung über den Betrag, der sollte uns in der englischen Besatzungzone in Deutschland ausgezahlt werden; es war natürlich eine Lüge. Die Behandlung durch die Kontrolleure war so widerwärtig, alles was gefiel wurde einfach weggenommen. Als wir den letzten Koffer öffnen sollten, wo Gegenstände verpackt waren, die uns sehr am Herzen lagen, bot meine Mutter der Kontrolleurin das Bündel Zloty-Scheine an. Erst zögerte sie, meine Mutter gab ihr noch ihre Armbanduhr, die ihr wohl gefiel und sie ließ uns dann sehr unwirsch passieren. Mit unserem letzten Hab und Gut gingen wir zu dem Gleis hinter der Schule, wo ein Güterzug zum Abtransport bereitstand. 36 Personen waren in unserem Viehwaggon. (...). In der Nacht hielt der Zug auf offener Strecke. Die Männer verriegelten die Schiebetür, nachts wurden sogar Züge geplündert. Hinter einer Decke war ein Eimer unsere Toilette, den Zug durfte niemand verlassen.

 

In Kohlfurt, als wir von den Engländern übernommen wurden, endete für uns die Schreckenszeit unter der polnischen Verwaltung, die wohl keiner von uns vergessen wird.
Für uns Heimatvertriebenen begann die letzte Fahrt ins Ungewisse!<<

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Bilder Bundesarchiv